Die Frankfurter Rundschau hat am 4. Mai 1999 unter dem Titel "Gericht ist überzeugt von gezieltem Terror" über die Rechtsprechung des OVG NRW bezüglich der Asylbegehren von albanischen Volkszugehörigen aus dem Kosovo berichtet. Dieser Bericht gibt Anlaß zu folgenden Hinweisen und Richtigstellungen:

Die beiden für Berufungsverfahren betreffend die Asylbegehren von albanischen Volkszugehörigen aus dem Kosovo zuständigen Senate hatten bis Anfang 1998 in Übereinstimmung mit allen anderen Oberverwaltungsgerichten und Verwaltungsgerichtshöfen in ständiger Rechtsprechung die Anerkennung der Asylberechtigung allein wegen einer Verfolgung dieser Bevölkerungsgruppe in der Bundesrepublik Jugoslawien aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit abgelehnt. Durch das brutale polizeiliche und militärische Vorgehen der serbisch dominierten staatlichen Organe seit Februar 1998 waren Zweifel entstanden, ob an dieser Einschätzung festgehalten werden konnte. Deshalb hatten beide Senate seinerzeit die Entscheidung über solche Asylbegehren zurückgestellt.

Erstmals Ende Februar und Anfang März 1999 haben beide Senate dann wieder über Asylbegehren von albanischen Volkszugehörigen aus dem Kosovo entschieden. Sie haben dabei vor dem Hintergrund der Holbrooke-Milosevic-Vereinbarung aus Oktober 1998, der andauernden Vertragsverhandlungen in Rambouillet und der entschiedenen Drohungen der NATO mit militärischem Einschreiten gegen die Bundesrepublik Jugoslawien zur Verhinderung einer humanitären Katastrophe durch erneutes brutales Vorgehen gegen die albanische Bevölkerung im Kosovo übereinstimmend eine genügende Stabilisierung der Verhältnisse gesehen und deshalb seinerzeit die Prognose für gerechtfertigt gehalten, daß eine asylbegründende Verfolgung allein wegen der albanischen Volkszugehörigkeit in absehbarer Zukunft nicht wahrscheinlich sei. Dies entsprach der Einschätzung mehrerer anderer Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe, die sich seit Oktober 1998 mit der Lage im Kosovo auseinandergesetzt hatten, und im übrigen auch der Einschätzung nichtstaatlicher Organisationen wie amnesty international (so ausdrücklich in einer Stellungnahme gegenüber dem Verwaltungsgericht Trier vom 5. März 1999).

Seither hat das OVG NRW nicht erneut über Asylbegehren albanischer Volkszugehöriger aus dem Kosovo entschieden. Der Artikel in der Frankfurter Rundschau vom 4. Mai 1999 ist insoweit falsch. In dem dort angegebenen Verfahren 14 A 3003/94.A ist - wie in einer Reihe weiterer ähnlich liegender Verfahren - Termin zur mündlichen Verhandlung im Juni diesen Jahres angesetzt worden. Mit der Ladung zu diesem Termin sind die Verfahrensbeteiligten auf für die Verhandlung und Entscheidung möglicherweise bedeutsame Gesichtspunkte hingewiesen worden, wie sie sich aus der Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse im Kosovo seit Ende März 1999 ergeben können. In dem Artikel der Frankfurter Rundschau wird aus dieser Verfügung zitiert.

Zur Vermeidung von weiteren Mißverständnissen über den Verfahrensstand und die maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte wird der Wortlaut der Verfügung als Anlage beigefügt.

Eine ähnlich lautende Verfügung ist der in Asylverfahren beklagten Bundesrepublik Deutschland und dem beteiligten Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten in anderweitig terminierten Verfahren erstmals Anfang April 1999 zugegangen. Weitere Erkenntnisse oder Möglichkeiten zu weiterer Sachaufklärung haben die Verfahrensbeteiligten bisher nicht benannt. Das Auswärtige Amt hat lediglich inzwischen dem Bundesjustizministerium mitgeteilt, daß sein (letzter) Lagebericht vom 18. November 1998 über die asylrelevanten Verhältnisse in der Bundesrepublik Jugoslawien durch die Entwicklungen seit Mitte März 1999 überholt, es aber derzeit zu einer Aktualisierung nicht in der Lage sei, weil die Botschaft in Belgrad geschlossen sei.

In den Verfahren vor dem OVG NRW, in denen der festgesetzte Tag zur mündlichen Verhandlung näherrückte, hat der berufungsführende Bundesbeauftragte seine Berufungen jeweils einige Tage vorher zurückgenommen. Das hatte einerseits zur Folge, daß auf einer ganz anderen tatsächlichen Grundlage beruhende asylgewährende Entscheidungen rechtskräftig geworden sind. Andererseits konnte deshalb das OVG NRW bisher nicht erneut über Asylbegehren albanischer Volkszugehöriger aus dem Kosovo in der Sache entscheiden.

Anlage

... wird zur Vorbereitung des Termins auf folgendes hingewiesen:

Nach den zahlreichen öffentlichen Äußerungen von Mitgliedern der Regierungen derjenigen NATO-Staaten, die an den Luftangriffen seit dem 24. März 1999 auf die Bundesrepublik Jugoslawien beteiligt sind, den Äußerungen der Generalsekretäre von UN und NATO sowie der Hohen Flüchtlingskommissarin der UN und der Flüchtlingskommissarin der Europäischen Union dürfte vielmehr von folgendem auszugehen sein: Zur Zeit (und zwar wohl seit dem 26. Februar 1999 unter dem Codenamen "Operation Hufeisen") führen die serbisch-dominierte Regierung der Bundesrepublik Jugoslawien und die Regierung der Republik Serbien mit schwer bewaffneten militärischen, polizeilichen und paramilitärischen Kräften eine seit langem geplante Aktion zur systematischen möglichst schnellen Vertreibung möglichst vieler albanischstämmiger Staatsangehöriger aus dem Kosovo durch, um die ethnische Zusammensetzung der dort lebenden Bevölkerung auf Dauer zugunsten des serbischen Bevölkerungsteils zu verändern. Beispielhaft sei auf folgende Presseberichte und Verlautbarungen verwiesen:

- Süddeutsche Zeitung vom 7. April 1999 ("Bundesregierung setzt verstärkt auf Diplomatie") Wiedergabe der Erklärungen des Bundesaußenministers Josef Fischer,

- Neue Zürcher Zeitung vom 7. April 1999, Beitrag des britischen Außenministers Robin Cook "Milosevic hat uns keine Wahl gelassen",

- DER SPIEGEL 15/1999 vom 12. April 1999 "Zum Siegen verdammt" und "Hau ab, rette lieber deinen Kopf" (Renate Flottaus Tagebuch aus Pristina),

- taz vom 20. April 1999, Dokumentation "Die gezielte Vertreibung trägt den Namen ‘Operation Hufeisen’",

- US-Außenministerium, Mai 1999, Bericht "Erasing History: Ethnic Cleansing in Kosovo", einsehbar im Internet unter http://www.state.gov/www/regions/eur/kosovo_hp.html.

Damit wird ein Tatbestand beschrieben, der asylrechtlich als zur Zeit andauernde staatliche Gruppenverfolgung zumindest der im Kosovo lebenden albanischen Volkszugehörigen aus Gründen der Volkszugehörigkeit zu bewerten ist. Angesichts der wiederholten substantiierten Äußerungen von Regierungsmitgliedern und von den berufenen Vertretern der genannten internationalen Organisationen und angesichts der umfassenden täglichen Presseberichterstattung über das Flüchtlingselend an den albanischen und mazedonischen Grenzen des Kosovo sieht der Senat zur Zeit insoweit keinen Anlaß zu weiterer Sachaufklärung. Dem Senat sind zudem aufgrund des Standes der diplomatischen Beziehungen und des Verhaltens der Bundesrepublik Jugoslawien gegenüber Journalisten und unabhängigen Beobachtern keine Informationsquellen bekannt, die derzeit über andere und bessere Einsichtsmöglichkeiten in die inneren Verhältnisse der Bundesrepublik Jugoslawien verfügen könnten als - schon im Hinblick auf die militärischen Bedürfnisse - die Regierungen derjenigen Staaten, die sich im Rahmen der NATO an den Luftangriffen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien zur Verhinderung und nunmehr zur Beendigung der Vertreibungen beteiligen. Die Frage, wielange eine gegenwärtig stattfindende Gruppenverfolgung voraussichtlich dauern wird, stellt sich im Rahmen der Entscheidung über ein Asylbegehren nicht. Das Ende einer stattfindenden politischen Verfolgung ist vielmehr, wie in jedem Fall der Gewährung von Asyl, Voraussetzung für eine Widerrufsentscheidung gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Eine Gruppenverfolgung durch Vertreibung dürfte u. a. dann beendet sein, wenn die verfolgte Gruppe eine sichere Möglichkeit zur Rückkehr hat.

Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wie sie auch dem jüngsten Urteil des erkennenden Senats vom 24. Februar 1999 - 14 A 3840/94.A - zugrundeliegt,

vgl. Urteile vom 30. April 1996 - 9 C 171.95 -, BVerwGE 101, 135, 139 ff., und vom 9. September 1997 - 9 C 43.46 -, DVBl. 1998, 274,

dürften sich im Hinblick auf die bei Beginn der Gruppenverfolgung bereits in der Bundesrepublik Deutschland befindlich gewesenen Asylbewerber albanischer Volkszugehörigkeit aus dem Kosovo nunmehr nur noch folgende Fragen stellen:

1. Handelt es sich um eine örtliche oder um eine regionale/landesweite Gruppenverfolgung?

2. Bei Feststellung einer regionalen Gruppenverfolgung ("landesweit" dürfte wegen der besonderen Verhältnisse im Bundesstaat Montenegro wohl nach wie vor nicht in Betracht zu ziehen sein):

Gibt es in der Bundesrepublik Jugoslawien eine hinreichend sichere inländische Fluchtalternative?

3. Bei Feststellung einer örtlich begrenzten, auf die im Kosovo ansässigen albanischen Volkszugehörigen beschränkten Gruppenverfolgung:

Können die aus dem Kosovo stammenden und vor Einsetzen der Gruppenverfolgung ausgereisten albanischen Volkszugehörigen zur Zeit ein Gebiet in der Bundesrepublik Jugoslawien tatsächlich erreichen, in dem sie bei Anlegung des "normalen" Wahrscheinlichkeitsmaßstabes von einer solchen Gruppenverfolgung nicht betroffen sein werden?

Die Fragen zu Ziffer 1. und 2. bedürfen keiner Entscheidung, wenn die Frage zu Ziffer 3. verneint werden muß.

Die Beklagte und der Beteiligte werden um umgehende Mitteilung gebeten, ob und gegebenenfalls welche Erkenntnisse Ihnen und der Bundesregierung insgesamt über die anderen Regionen der Bundesrepublik Jugoslawien im Hinblick auf die Freiheit von Gruppenverfolgung wegen albanischer Volkszugehörigkeit und die tatsächliche Erreichbarkeit dieser Gebiete durch in der Bundesrepublik Deutschland sich aufhaltende albanische Volkszugehörige unter Berücksichtigung der gegenwärtigen diplomatischen und konsularischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Bundesrepublik Jugoslawien vorliegen. Außerdem werden die Beteiligten um umgehende Mitteilung sonstiger ihnen bekannter Erkenntnismöglichkeiten gebeten.