Anlässlich des Präsidentenwechsels beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen ging der Präsident des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, Dr. Michael Bertrams, im Rahmen seiner Begrüßungsansprache auf die neue Bau- und Liegenschaftsverwaltung des Landes, auf die lange Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren sowie auf das Problem des öffentlichen Auftretens von Neonazis ein. Er führte hierzu u.a. aus:

Der neue Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW

Es sei unerlässlich, Staat und Verwaltung zu modernisieren. Reformbemühungen im Bereich der Justiz müssten jedoch der verfassungsrechtlich garantierten Unabhängigkeit der Dritten Gewalt Rechnung tragen. Diese Verfassungsgarantie habe einen höheren Rang als Gesichtspunkte kaufmännischer Effizienz. Deshalb melde er Bedenken an, wenn in diesen Tagen die Liegenschaften der Justiz zur Disposition eines Bau- und Liegenschaftsbetriebes gestellt würden. Dr. Bertrams warf die Frage auf, ob es mit dem Bild einer unabhängigen Justiz vereinbar sei, die Justiz flächendeckend zum Mieter in den eigenen Gerichten zu machen. Er forderte den neuen Bau- und Liegenschaftsbetrieb des Landes auf, den verfassungsrechtlichen Besonderheiten der Justiz durch entsprechende Zusicherungen Rechnung zu tragen.

Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren

Mit Blick auf die Berichterstattung in den Medien ging Präsident Dr. Bertrams auch auf die überlange Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren ein.

Die nordrhein-westfälische Verwaltungsgerichtsbarkeit verfüge über einen der modernsten Apparate, den die Justiz des Landes zu bieten habe. Auch die Organisationsstrukturen entsprächen modernen Anforderungen. Gleichwohl seien die Verfahrenslaufzeiten - trotz großen richterlichen Engagements - sehr ungünstig. Zu den Hauptursachen dieses Phänomens gehöre die Tatsache, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit in den Jahren 1993 und 1994 von über 200 000 Neueingängen überflutet worden sei, ohne dass man die Gerichtsbarkeit seinerzeit personell verstärk habe. Seitdem schiebe man eine große Bugwelle unerledigter und stetig älter werdender Verfahren vor sich her. Erst jetzt sei der Haushaltsgesetzgeber tätig geworden und habe 15 neue Richterstellen zugesagt. Dies sei zwar ein wichtiger Schritt zur Verfahrensbeschleunigung, weitere Anstrengungen der gesamten Richterschaft seien jedoch unerlässlich. Im Interesse der Rechtsschutzsuchenden müsse es allen Richterinnen und Richtern ein persönliches Anliegen sein, an der Verkürzung der Verfahrensdauer mitzuwirken und dazu beizutragen, die Effizienz und Akzeptanz der Verwaltungsgerichtsbarkeit auch in Zukunft zu sichern.

Demonstrationsverbote für Neonazis

Zu dem Problem des öffentlichen Auftretens von Neonazis führte Präsident Dr. Bertrams u.a. aus:

Angesichts des öffentlichen Auftretens von Neonazis werde immer wieder der Standpunkt vertreten, das Versammlungsrecht sei kein Gesinnungsrecht, der Schutz der Versammlungsfreiheit stehe mithin auch Neonazis zu. Die gegenüber diesem Standpunkt zunehmend geäußerte Kritik sei berechtigt. Zwar garantiere das Grundgesetz das Recht der Meinungs- und Versammlungsfreiheit auch - und gerade - dem Andersdenkenden. Das Grundgesetz gewähre diese Freiheit jedoch nicht ohne Schranken. Das Oberverwaltungsgericht NRW sehe solche Schranken dort, wo rechtsextremistische Aufzüge und Versammlungen von einem Bekenntnis zum Nationalsozialismus geprägt seien. Eine rechtsextremistische Ideologie wie der Nationalsozialismus sei unter dem Grundgesetz von vornherein ausgeschlossen und lasse sich auch mit den Mitteln des Demonstrationsrechts nicht legitimieren. Die Versammlungs- und Meinungsfreiheit sei mithin kein Freibrief für Neonazis. Dies hätten die Mütter und Väter des Grundgesetzes nicht gewollt. Ihr Ziel sei vielmehr die radikale Abkehr von der NS-Diktatur und ihrem Gedankengut gewesen. Versammlungen mit einem Neo-Nazi-Gepräge dürften deshalb nach der Rechtsprechung des OVG NRW von den zuständigen Behörden verboten werden. Ohne ein solches Verbot laufe der demokratische Rechtsstaat Gefahr, sich gegenüber denen als wehrlos zu erweisen, die diesem Rechtsstaat und seinen Werten den Kampf angesagt hätten. Die Freiheit des Andersdenkenden sei ein hohes Gut; sie finde aber dort ihre Grenze, wo 50 Jahre nach dem Holocaust der Versuch unternommen werde, das barbarische Gedankengut des Dritten Reiches wiederzubeleben