Der Präsident des Oberverwaltungsgerichts
für das Land Nordrhein-Westfalen

Konzept für eine Ausübung der Sozialgerichtsbarkeit durch besondere Spruchkörper der Verwaltungsgerichte

Die am 1. Januar 2005 in Kraft tretenden Arbeitsmarktgesetze haben eine Rechtslage geschaffen, die aus der Sicht der nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichtsbarkeit eine rasche Zusammenlegung der Sozialgerichtsbarkeit mit der Verwaltungsgerichtsbarkeit erforderlich macht (vgl. Positionspapier vom 6. Februar 2004). Auf dem Weg zu dieser Zusammenlegung ist mit Blick auf das Datum 1. Januar 2005 ein sofortiges Handeln des Bundes- und des Landesgesetzgebers erforderlich.

Dringender Handlungsbedarf besteht insbesondere aus zwei Gründen. Erstens: Das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts (SGB XII) in das Sozialgesetzbuch enthält Regelungslücken. Zweitens: Die hoch belastete Sozialgerichtsbarkeit verfügt nicht über die notwendigen Ressourcen, um die ihr durch die Arbeitsmarktgesetze zugewiesenen neuen Aufgaben ab dem 1. Januar 2005 angemessen erfüllen zu können. Ohne ein unverzügliches gesetzgeberisches Tätigwerden geriete deshalb die Umsetzung der Arbeitsmarktgesetze in Gefahr.

1. Handlungsbedarf wegen gesetzlicher Regelungslücken

a) Im Sozialgerichtsgesetz (SGG) fehlen Regelungen zur Bestellung der ehrenamtlichen Richter für die der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesenen sozialhilferechtlichen Verfahren. Die Sozialgerichtsbarkeit wäre infolge dieser Regelungslücke zum 1. Januar 2005 nicht handlungsfähig.

b) Die kommunale Trägerschaft für die im SGB XII geregelte Sozialhilfe korrespondiert nicht mit der im SGG vorgesehenen Zuständigkeit für den Erlass des Widerspruchsbescheides. Dringend erforderlich ist eine Regelung, welche die diesbezügliche Zuständigkeit der Selbstverwaltungskörperschaft sicherstellt.

2. Handlungsbedarf wegen fehlender Ressourcen der Sozialgerichtsbarkeit

Mit den sozialhilferechtlichen Verfahren kommen auf die Sozialgerichtsbarkeit am 1. Januar 2005 Aufgaben zu, für die nur bei den Verwaltungsgerichten Ressourcen und – in Jahrzehnten gewachsene – Kompetenzen vorhanden sind. Versuche, diese Ressourcen ohne Beteiligung des Haushaltsgesetzgebers im schlichten Haushaltsvollzug von der Verwaltungsgerichtsbarkeit in die Sozialgerichtsbarkeit zu verschieben, führen auf einen nicht gangbaren Weg. Eine solche Verschiebung bedeutete einen (verfassungs-) rechtlich nicht legitimierten Eingriff in richterliche Dienstverhältnisse und in die Organisation der Dritten Gewalt.

3. Die vor dem 1. Januar 2005 erforderlichen Bundes- und Landesgesetze

Die Protokollerklärung der Bundesregierung im Hartz-Vermittlungsausschuss weist den richtigen Weg der Bündelung der Ressourcen von Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit: Die Einrichtung besonderer Spruchkörper bei den Verwaltungsgerichten. Dieser Weg muss durch rechtzeitig in Kraft tretende Bundes- und Landesgesetze geebnet werden. Damit rechtzeitig zum 1. Januar 2005 besondere Spruchkörper der Verwaltungsgerichte vor allem in Angelegenheiten der Sozialhilfe einsatzfähig sind, müssen spätestens zum 1. Oktober 2004 ein Bundesgesetz (A) und ein Landesgesetz (B) in Kraft sein.

A.

Auf der ersten Stufe müssen durch Bundesgesetz die organisations- und verfahrensrechtlichen Vorkehrungen für besondere Spruchkörper der Verwaltungsgerichte in Angelegenheiten der Sozialgerichtsbarkeit geschaffen werden. Das sollte mit Blick auf das Inkrafttreten der Arbeitsmarktgesetze am 1. Januar 2005 durch eine Änderung des SGG spätestens zum 1. Oktober 2004 wie folgt geschehen:

  • Die Länder werden durch eine Öffnungsklausel ermächtigt, die Sozialgerichtsbarkeit ganz oder teilweise durch besondere Spruchkörper der Verwaltungsgerichte ausüben zu lassen.
  • Für die Gerichtsverfassung und das Verfahren gilt grundsätzlich das SGG. Dabei sind folgende notwendige Anpassungen vorzusehen:
  • Die Berufsrichter der besonderen Spruchkörper sind Richter der Verwaltungsgerichtsbarkeit.
  • Zu ehrenamtlichen Richtern der besonderen Spruchkörper sollen vorrangig die ehrenamtlichen Mitglieder der bisherigen Sozialspruchkörper der Verwaltungsgerichte berufen werden.
  • Die Präsidien der Verwaltungsgerichte bestimmen die Zahl und Besetzung der besonderen Spruchkörper und verteilen die Geschäfte.
  • Bei kommunaler Trägerschaft ist die Zuständigkeit für den Erlass des Widerspruchsbescheides bei der Selbstverwaltungskörperschaft sicherzustellen.

B.

Auf der zweiten Stufe muss durch Landesgesetz von der Öffnungsklausel Gebrauch gemacht werden, um sicherzustellen, dass die ausschließlich bei den Verwaltungsgerichten und dem Oberverwaltungsgericht vorhandenen Ressourcen zur Bearbeitung sozialhilferechtlicher Streitigkeiten ohne Unterbrechung über den 1. Januar 2005 hinaus weiter genutzt werden können. Das sollte durch eine Änderung des Gesetzes zur Ausführung des SGG im Lande Nordrhein-Westfalen zum 1. Oktober 2004 wie folgt geschehen:

  • In Angelegenheiten der Sozialhilfe (SGB XII) wird die Sozialgerichtsbarkeit durch besondere Spruchkörper der Verwaltungsgerichte ausgeübt.

Ein Arbeitsentwurf des Bundes- und des Landesgesetzes liegt an.

Dr. Michael Bertrams

 

Der Präsident des Oberverwaltungsgerichts
für das Land Nordrhein-Westfalen

Arbeitsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes

Stand: 13. Februar 2004

Artikel 1 Änderung des Sozialgerichtsgesetzes

Das Sozialgerichtsgesetz, zuletzt geändert durch ..., wird wie folgt geändert:

1. Die Inhaltsübersicht wird wie folgt geändert:

a) Die Angabe zum Fünften Abschnitt des Ersten Teils wird wie folgt gefasst: "Fünfter Abschnitt Besondere Spruchkörper der Verwaltungsgerichte §§ 50a bis 50d"

b) Vor den Angaben zum Zweiten Teil wird eingefügt:

"Sechster Abschnitt Rechtsweg und Zuständigkeit §§ 51 bis 59."

2. § 1 wird wie folgt gefasst:

"Die Sozialgerichtsbarkeit wird durch unabhängige, von den Verwaltungsbehörden getrennte, besondere Verwaltungsgerichte ausgeübt. Sie kann nach Maßgabe des Fünften Abschnitts auch durch besondere Spruchkörper der Verwaltungsgerichte ausgeübt werden."

3. Der Fünfte Abschnitt wird wie folgt gefasst:

"Fünfter Abschnitt Besondere Spruchkörper der Verwaltungsgerichte

§ 50a
Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Sozialgerichtsbarkeit ganz oder teilweise durch besondere Spruchkörper der Verwaltungsgerichte und der Oberverwaltungsgerichte ausgeübt wird. Für die Gerichtsverfassung in Bezug auf diese Spruchkörper gelten die Bestimmungen dieses Gesetzes entsprechend, soweit sich aus den Vorschriften dieses Abschnitts nichts Anderes ergibt.

§ 50b
Die Berufsrichter der besonderen Spruchkörper sind Richter der Verwaltungsgerichtsbarkeit und werden nach den hierfür geltenden Vorschriften ernannt. Sie können Mitglied mehrerer besonderer und allgemeiner Spruchkörper sein.

§ 50c
(1) Aus dem Kreis der für das Verwaltungsgericht bzw. Oberverwaltungsgericht gemäß §§ 21 bis 29 der Verwaltungsgerichtsordnung gewählten ehrenamtlichen Richter beruft das dortige Präsidium die ehrenamtlichen Richter, die für die Amtsperiode ausschließlich in den besonderen Spruchkörpern herangezogen werden.

(2) Vorrangig sollen die ehrenamtlichen Richter für die besonderen Spruchkörper berufen werden, die bisher in den in § 188 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung genannten Sachgebieten tätig waren.

(3) § 23 dieses Gesetzes findet keine Anwendung.

§ 50d
Das Präsidium des Verwaltungsgerichts bzw. des Oberverwaltungsgerichts bestimmt die Zahl und Besetzung der besonderen Spruchkörper, regelt die Vertretung und verteilt die Geschäfte."

4. Der bisherige Fünfte Abschnitt wird mit seinen bisherigen Vorschriften der Sechste Abschnitt.

5. Nach § 51 wird folgender § 52 eingefügt:
"Ist ein Landesgesetz nach § 50a erlassen, treten für den übertragenen Bereich in den folgenden Vorschriften die besonderen Spruchkörper der Verwaltungsgerichte an die Stelle des Sozialgerichts und die besonderen Spruchkörper der Oberverwaltungsgerichte an die Stelle des Landessozialgerichts."

6. In § 57 Abs. 1 Satz 1 werden nach den Wörtern "Örtlich zuständig ist das Sozialgericht" die Wörter eingefügt:
"oder, wenn ein Landesgesetz nach § 50a erlassen ist, das Verwaltungsgericht"

7. § 58 wird wie folgt geändert:

  1. Absatz 2 wird wie folgt gefasst:
    "Ist ein Landesgesetz nach § 50a erlassen, ist das gemeinsam nächsthöhere Gericht das Oberverwaltungsgericht (besondere Spruchkörper), wenn es sich bei den in Absatz 1 Nummer 1 bis 5 genannten Gerichten ausschließlich um besondere Spruchkörper der Verwaltungsgerichte handelt."
  2. Der bisherige Absatz 2 wird Absatz 3.

8. Dem § 60 wird folgender Absatz 4 angefügt:
"Für das Verfahren vor den besonderen Spruchkörpern der Verwaltungsgerichte und der Oberverwaltungsgerichte gilt § 54 der Verwaltungsgerichtsordnung"

9. § 85 Abs. 2 wird wie folgt geändert:

  1. In Nummer 3 wird der Punkt durch ein Komma ersetzt.
  2. Nach Nummer 3 wird folgende Nummer 4 angefügt:
    "4. in Angelegenheiten der kommunalen Selbstverwaltung die Selbstverwaltungsbehörde, soweit nicht durch Gesetz Anderes bestimmt wird."

Artikel 2 Inkrafttreten

(1) Dieses Gesetz tritt vorbehaltlich des Absatzes 2 am 1. Januar 2005 in Kraft.

(2) Artikel 1 Nr. 1 bis 4 tritt am 1. Oktober 2004 in Kraft.

 

Der Präsident des Oberverwaltungsgerichts
für das Land Nordrhein-Westfalen

Arbeitsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ausführungsgesetzes des Sozialgerichtsgesetzes im Lande Nordrhein-Westfalen

Stand: 13. Februar 2004

Artikel 1 Änderung des Gesetzes zur Änderung des Ausführungsgesetzes des Sozialgerichtsgesetzes im Lande Nordrhein-Westfalen

Das Gesetz zur Ausführung des Sozialgerichtsgesetzes im Lande Nordrhein-Westfalen, zuletzt geändert durch ..., wird wie folgt geändert:

Nach § 4 wird folgender § 4a eingefügt:

"§ 4a
(1) In Angelegenheiten der Sozialhilfe (§ 8 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch) wird die Sozialgerichtsbarkeit durch besondere Spruchkörper der Verwaltungsgerichte und des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen ausgeübt.

(2) Die örtliche Zuständigkeit der besonderen Spruchkörper bestimmt sich nach § 1 Abs. 2 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung."

Artikel 2 Übergangsvorschrift

Auf die bis zum 1. Januar 2005 rechtshängig gewordenen Verfahren finden die bisherigen Vorschriften Anwendung.

Artikel 3 Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am 1. Oktober 2004 in Kraft.