Obwohl im Jahr 2016 die Zahl der Neueingänge bei den sieben nordrhein-westfäli­schen Ver­waltungsgerichten, verursacht durch die massive Zunahme der Asylverfah­ren, um mehr als 50 % gestiegen ist, sind die durchschnittlichen Verfah­renslaufzeiten weiter gesunken. Das be­richtete die Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts, Dr. Ricarda Brandts, beim heutigen Jah­respressege­spräch. Die Dauer konnte bei Hauptsache­verfahren auf durch­schnittlich 7,8 Mo­nate, beim vorläufigen Rechts­schutz auf etwa 1,2 Monate ver­ringert wer­den. Die Verwaltungs­gerichte haben 2016 rund 62.500 Ver­fahren erledigt, 9.000 mehr als im Vorjahr. Beim Oberver­waltungsge­richt ging die Zahl der einge­gangenen Verfahren hin­gegen um rund 10 % zurück (2016: 5.780, 2015: 6.420), ab­geschlossen wurden wie 2015 rund 5.900 Streitfälle.

Zunahme von Asylverfahren um 140 %

Durchschnittlich 64 % der neuen Verfahren bei den Verwaltungsgerichten waren 2016 Asyl­verfahren, beim Ver­waltungsgericht Münster betrug die Quote sogar 74 %. Die meisten Rechtsschutzsuchenden kamen aus Syrien (33 %). Die Zunahme der asylrechtlichen Streit­fälle war drastisch: 51.400 Verfahren gingen im letzten Jahr ein. Das sind mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr (21.200) und vier Mal so viele wie 2013 (10.100). „Gleichwohl ist es gelungen, die Dauer der Asylverfahren bei den Verwaltungsgerichten zu senken“, erklärte Präsi­dentin Dr. Brandts. Ein Hauptsache­verfahren, das in der Regel eine mündliche Ver­handlung erfordert, dauerte durch­schnittlich 5,8 Monate (2015: 7,6), ein Eilverfahren weni­ger als einen Monat (2016: 0,8 Monate, 2015: 1,0). Dr. Brandts nannte verschiedene Fakto­ren, die zu die­ser po­siti­ven Entwicklung beigetragen hätten: hoher Ar­beitseinsatz; eine mo­derne, elektro­nische Ar­beitsweise, auch in Zusammenarbeit mit dem Bun­desamt für Migra­tion und Flüchtlinge, das nunmehr die Akten elektronisch über­sende; personelle Unterstüt­zung aus anderen Gerichts­barkeiten, die zeige, dass die Justiz an einem Strang ziehe. Der Haushaltsgesetzgeber hatte wegen der zunehmenden Arbeitsbelastung durch die Asylver­fahren 59 zusätzliche Richter­stel­len geschaffen, von denen 24 in Form von Abordnungen aus der ordentli­chen und der Sozial­gerichtsbar­keit zur Ver­fügung gestellt werden. Hinzu kamen Stellen im Unter­stützungsbereich. Präsidentin Dr. Brandts prognostizierte: „Ange­sichts der weiterhin wachsenden Zahl der Verfah­ren wird es im laufenden Jahr wahrschein­lich nicht mehr gelingen, die Verfahrens­lauf­zeiten auf dem bisherigen Niveau zu halten.“

 Sonntagsschutz durch Verwaltungsgerichte

Im besonderen Fokus der Öffentlichkeit in Nordrhein-Westfalen stand im Jahr 2016 die Recht­sprechung des Oberverwaltungsgerichts und der Verwaltungsgerichte zu den ver­kaufsoffenen Sonntagen – ein Thema, das für zahlreiche Diskussionen vor Ort gesorgt hat, nachdem viele geplante verkaufsoffene Sonntage nicht durchgeführt werden durften. Präsi­dentin Dr. Brandts stellte hierzu klar: „Der arbeitsfreie Sonntag wird vom Grundgesetz aus­drücklich geschützt. Der Schutz eines bestimmten ar­beitsfreien Tages pro Woche ist auch Ausdruck des Sozialstaats­prinzips. Der Ein­zelne soll diese Zeit allein oder in der Gemein­schaft mit anderen nach Mög­lichkeit ungehindert von werktäglichen Pflichten nutzen kön­nen. Das Ladenöffnungsgesetz und das Grundgesetz erlauben keine verkaufsoffenen Sonntage nur zu dem Zweck, dem Handel einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, indem sich Geschäfte auch angesichts des Online­handels vorübergehend sozusagen ‚exklusiv‘ präsentieren können.“ Als eine  Ausnahme vom verfassungsrechtlich verankerten Sonn­tagsschutz seien im Ladenöffnungsgesetz Ladenöffnun­gen aus Anlass von örtlichen Festen oder Märkten zugelassen. Die anlassgebende Veranstal­tung müsse deshalb – auch räum­lich – gegenüber der Ladenöffnung im Vordergrund stehen.

Die Verwaltungsgerichte haben seit dem Sommer 2016 eine Vielzahl von verkaufs­offenen Sonntagen beanstandet, weil offensichtlich die gesetzlichen und verfas­sungsrechtlich zwin­gen­den Voraussetzungen nicht gegeben waren. Präsidentin Dr. Brandts wies darauf hin, die Ge­richte hätten nur zu prüfen, ob die jeweilige gemeind­liche Entscheidung angesichts der Bedeu­tung des Sonntagsschutzes schlüssig und vertretbar sei. Die Anforderungen an die Begrün­dung seien umso geringer, je offener der gegenüber der anlassgebenden Ver­anstaltung unter­geordnete Charakter der sonntäglichen Ladenöffnung zu Tage liege. 

Die Verfassungsgarantie des Sonntags ist im europäischen Vergleich eine deutsche Be­sonder­heit. Eine Evaluation des Ladenöffnungsgesetzes im Jahr 2011 hat keine nachweis­baren wett­bewerbsrelevanten Auswirkungen der seinerzeit noch gelocker­ten Vorgaben für eine Sonn­tagsöffnung auf Umsatz und Beschäftigung ergeben.