Das Oberverwaltungsgericht hat heute in einer Berufungsverhandlung entschieden, dass einem 20-jährigen Syrer, der vor dem Bundesamt angegeben hatte, wegen des Militärdienstes Syrien verlassen zu haben, nicht die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Es sei nicht davon auszugehen, dass zurückkehrende Asylbewerber, die sich dem Wehrdienst durch Flucht entzogen haben und deshalb bei Rückkehr gesetzmäßige, aber auch extralegale Bestrafung bis hin zu Folter zu befürchten hätten, in Verknüpfung mit einer vom syrischen Staat zugeschriebenen politischen Überzeugung als politische Gegner verfolgt würden.

Der Kläger, der weder Mitglied in bewaffneten oder politischen Organisationen noch sonst politisch aktiv war, erhielt im Juni 2014 eine Aufforderung, am 19. März 2015 seinen Wehrdienst in der syrischen Armee anzutreten. Er floh im September 2014 über die Türkei und die Balkanroute nach Deutschland und beantragte dort Asyl. Das Bundesamt gewährte subsidiären Schutz wegen der auf Grund des Bürgerkriegs drohenden Gefahren, versagte aber die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Diese begehrte der Kläger mit einer vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf erhobenen Klage, die Erfolg hatte. Auf die Berufung der Bundesrepublik Deutschland hat das OVG das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf geändert und die Klage abgewiesen.

In einer ersten Grundsatzentscheidung vom 21. Februar 2017 (14 A 2316/16.A) hat der Senat entschieden, dass syrische Asylbewerber nicht generell als Flüchtlinge anzuerkennen sind; die Frage der Wehrdienstentziehung hatte sich in dem Verfahren nicht gestellt. (Pressemitteilung: http://www.ovg.nrw.de/behoerde/presse/pressemitteilungen/10_170221/index.php)

Zur Begründung seiner heutigen Entscheidung führte der 14. Senat aus: Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erfordere, dass dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wegen seiner politischen Überzeugung oder Religion eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte drohe. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts könne das nicht festgestellt werden. Es gebe keine Erkenntnisse, dass rückkehrende Asylbewerber wegen des Umstandes, dass sie sich durch Flucht dem Wehrdienst entzogen haben, vom syrischen Staat als politische Gegner angesehen und verfolgt würden. Die Annahme einer vom syrischen Staat zugeschriebenen gegnerischen politischen Gesinnung sei ‑ wie bereits entschieden wurde ‑ schon für Flüchtlinge, die allein vor den für Zivilisten drohenden Gefahren des Bürgerkriegs geflohen sind, lebensfremd. Die Annahme liege noch ferner für Flüchtlinge, für die der zusätzliche Fluchtgrund bestehe, sich vor den weitaus größeren Gefahren des unmittelbaren Kriegseinsatzes in Sicherheit zu bringen. Angesichts des kulturübergreifend verbreiteten Phänomens der Furcht vor einem Kriegseinsatz als Motivation zur Wehrdienstentziehung in Kriegszeiten liegt es für jedermann auf der Hand, dass Flucht und Asylbegehren syrischer Wehrpflichtiger regelmäßig nichts mit politischer Opposition zum syrischen Regime, sondern allein mit ‑ verständlicher ‑ Furcht vor einem Kriegseinsatz zu tun hat. Es hieße, dem syrischen Regime ohne greifbaren Anhalt Realitätsblindheit zu unterstellen, wenn angenommen wird, es könne dies nicht erkennen und schreibe deshalb jedem Wehrdienstentzieher eine gegnerische politische Gesinnung zu. Eine Verfolgung wegen Verweigerung des Militärdienstes im Zusammenhang mit völkerrechtswidrigen Kriegshandlungen (insbesondere Kriegsverbrechen) drohe dem Kläger nicht. Zwar könne unterstellt werden, dass es durch die syrische Armee zu solchen Handlungen komme, der Kläger habe aber den Militärdienst nicht verweigert, sondern sich dem lediglich durch Flucht entzogen. Eine Verweigerung i.S. des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG sei auch nicht bei einer hypothetischen Rückkehr zu erwarten.

Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen ist Nicht­zulassungsbeschwerde möglich, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.

Beim OVG sind derzeit weitere 121 Verfahren syrischer Asylbewerber anhängig (Anträge auf Zulassung der Berufung). Bei den sieben Verwaltungsgerichten in NRW sind mehr als 13.500 Syrien-Verfahren anhängig.

Aktenzeichen: 14 A 2023/16.A (I. Instanz: VG Düsseldorf 13 K 9495/16.A)