Die für Ostermontag in Hagen geplante Demonstration von rechtsextremistischen Gruppierungen unter Leitung des mit ähnlichen Demonstrationen wiederholt in Erscheinung getretenen Christian Worch aus Hamburg darf nicht stattfinden. Dies hat der 5. Senat des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) durch Beschluss vom heutigen Tage entschieden und damit eine entsprechende Verbotsverfügung des Polizeipräsidiums Hagen bestätigt. Ein gegen diese Verfügung gerichteter Eilantrag des Herrn Worch war bereits vor dem Verwaltungsgericht Arnsberg ohne Erfolg geblieben.

In seinem Beschluss setzt sich der 5. Senat des OVG NRW zunächst kritisch mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auseinander:

"Nach der Rechtsprechung des 5. Senats lässt sich eine rechtsextremistische Ideologie wie der Nationalsozialismus unter dem Grundgesetz nicht - auch nicht mit den Mitteln des Demonstrationsrechts - legitimieren; bei der Auslegung des Grundrechts der Demonstrationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1, 8 Abs. 1 GG) ist dieser verfassungsimmanenten Beschränkung auch unterhalb der Schwelle strafrechtlicher und verfassungsgerichtlicher Verbots- und Verwirkungsentscheidungen Rechnung zu tragen, so dass Versammlungen, die durch ein Bekenntnis zum Nationalsozialismus geprägt sind, wegen Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung gemäß § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes (VersammlG) verboten werden können.

Diese Rechtsprechung hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch Beschluss vom 24. März 2001 - 1 BvQ 13/01 - mit der Begründung verworfen, die vom beschließenden Senat bejahte verfassungsimmanente Schranke gebe es nicht. Eine Grenze der Meinungsäußerung bildeten gemäß Art. 5 Abs. 2 GG die Strafgesetze, die zum Rechtsgüterschutz ausnahmsweise bestimmte geäußerte Inhalte untersagten. Daneben kämen zusätzliche verfassungsimmanente Grenzen der Inhalte von Meinungsäußerungen entgegen der Auffassung des beschließenden Senats nicht zum Tragen. Eine Äußerung aber, die nach Art. 5 Abs. 2 GG nicht unterbunden werden dürfe, könne auch nicht Anlass für versammlungsbeschränkende Maßnahmen nach Art. 8 Abs. 2 GG sein.

Nach dieser Bewertung des Bundesverfassungsgerichts fallen grundsätzlich auch das öffentliche Auftreten von Neonazis und die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankengutes in öffentlichen Versammlungen und Aufzügen, soweit sie die Strafbarkeitsschwelle nicht überschreiten, unter den Schutz des Grundgesetzes.

Der beschließende Senat teilt diese Auffassung nicht und hält die mit ihr verbundenen Konsequenzen für problematisch. Vor dem Hintergrund der jüngeren deutschen Geschichte werden durch das öffentliche Auftreten von Neonazis und das Verbreiten entsprechenden Gedankenguts grundlegende soziale und ethische Anschauungen einer Vielzahl von Menschen - zumal der in Deutschland lebenden ausländischen und jüdischen Mitbürger - in erheblicher Weise verletzt. Dieser Befund gilt nicht nur an Tagen mit gewichtiger Symbolkraft wie dem Holocaust-Gedenktag, sondern an jedem Tag des Jahres. Dies ist ein wesentlicher Aspekt der Verfassungswirklichkeit im wiedervereinten Deutschland, den es bei der Auslegung und Anwendung der hier in Rede stehenden Normen zu berücksichtigen gilt. Der Hinweis der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts auf die vom Grundgesetz getroffenen Vorkehrungen der Gefahrenabwehr als Ausdruck einer wehrhaften und streitbaren Demokratie trägt dem nicht hinreichend Rechnung. Die in Art. 9 Abs. 2, Art. 18, Art. 21 Abs. 2 GG enthaltenen Regelungen dienen zwar auch dem Ziel, ein Wiederaufleben des Nationalsozialismus zu verhindern. Angesichts der nahezu unüberwindbaren Hürden, die das Bundesverfassungsgericht insoweit aufgestellt hat, können jene Vorkehrungen in der Verfassungswirklichkeit jedoch nur in den seltensten Fällen ihre Schutzwirkung entfalten. Sie erweisen sich jedenfalls als ungeeignet, die mit dem Auftreten von Neonazis verbundenen - hier in Rede stehenden - Verletzungen grundlegender sozialer und ethischer Anschauungen einer Vielzahl von Menschen zu verhindern."

Zur Begründung hat der 5. Senat des OVG NRW im Übrigen ausgeführt, dass vorliegend auch nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ein Versammlungsverbot gerechtfertigt sei:

"Von der für den Ostermontag - ohne späteren Ausweichtermin - geplanten Versammlung in der Form eines "Nationalen Ostermarsches" geht nach aktueller Sachlage eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung aus, die die erlassene Verbotsverfügung auch nach den Maßstäben der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts rechtfertigt. Die öffentliche Ordnung kann nach diesen Maßstäben betroffen sein, wenn einem bestimmten Tag ein in der Gesellschaft eindeutiger Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt, der bei der Durchführung eines Aufzuges an diesem Tage in einer Weise angegriffen wird, dass dadurch zugleich grundlegende soziale oder ethische Anschauungen in erheblicher Weise verletzt werden.

So liegt der Fall hier. Das alljährlich von Millionen von Menschen begangene Osterfest gilt als höchstes Fest der Christenheit und wird als Fest der Hoffnung, des Lebens, des Friedens und der Versöhnung gefeiert. Mit diesem Charakter des Osterfestes ist in einer christlich geprägten Gesellschaft die Durchführung einer Versammlung mit erkennbar neonazistischem Gepräge unvereinbar; sie würde den religiösen Anschauungen einer Vielzahl von Menschen zuwiderlaufen und das sittliche Empfinden einer Vielzahl von Bürgerinnen und Bürgern in erheblicher Weise verletzen.

Dass der Antragsteller und seine Versammlungen dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen sind, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 9/01 - ausdrücklich bestätigt. Diese Einschätzung folgt überdies aus zahlreichen Tatsachen: ... (wird ausgeführt). Der Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 1999, S. 81, 97, qualifiziert den Antragsteller als bundesweit agierenden Neonazi. Die nationalsozialistische Gesinnung des Antragstellers ist ferner in zahlreichen von ihm initiierten Veranstaltungen zum Ausdruck gekommen, worauf der Antragsgegner in seiner Verbotsverfügung zu Recht hinweist und wie dem Senat im Übrigen aus anderen Verfahren hinlänglich bekannt ist. Den Umfang dieser Aktivitäten bestätigt der Antragsteller selbst, indem er in seiner Antragsbegründung vom 3. April 2001 darauf hinweist, dass er seit dem Sommer 2000 in verstärktem Maße als Veranstalter, Anmelder und Leiter von Demonstrationen in Erscheinung getreten ist.

Bei der Bewertung der geplanten Versammlung hat der Antragsgegner überdies zu Recht berücksichtigt, dass Versammlungsteilnehmer bei den vom Antragsteller initiierten Veranstaltungen in der Vergangenheit wiederholt durch einschlägige Straftaten (Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) und Meinungsbekundungen mit eindeutig nationalsozialistischem Bezug (z.B. Skandieren der Parole "Ruhm und Ehre der Waffen-SS") aufgefallen sind. Auch die Resonanz, die die Versammlungen des Antragstellers auf rechtsextremistischen Internet-Seiten finden, und der ausschließlich dem rechtsextremistischen Spektrum angehörende Kreis der Versammlungsteilnehmer bestätigen die Einschätzung, dass die geplante Versammlung ein neonazistisches Gepräge aufweist. Dass der Zweck der Versammlung in der Öffentlichkeit auch in diesem Sinne wahrgenommen wird, belegen schließlich die zahlreichen Presseveröffentlichungen im Vorfeld einer jeden vom Antragsteller geplanten Aktion.

Vor diesem Hintergrund liegt es auf der Hand, dass die geplante Versammlung den Frieden des Osterfestes nachhaltig stören und das sittliche Empfinden zahlloser Bürgerinnen und Bürger erheblich verletzen würde. Eine Verschiebung der Veranstaltung auf einen Termin nach dem Osterfest würde dem Sinn und Zweck des vom Antragsteller geplanten "Nationalen Ostermarsches" zuwiderlaufen. Dementsprechend hat denn auch der Antragsteller das Angebot des Antragsgegners zu einem Kooperationsgespräch über den konkreten Versammlungstermin abgelehnt. Damit ist hier auch nach den Maßstäben der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts das vom Antragsgegner verfügte Versammlungsverbot gerechtfertigt."

5 B 492/01