Die für den 13. und 20. März 2004 in Bochum geplanten NPD-Demonstrationen unter dem Motto "Stoppt den Synagogenbau - 4 Millionen fürs Volk" dürfen nicht stattfinden. Dies hat der 5. Senat des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) durch Beschluss vom heutigen Tage unter Aufhebung einer anders lautenden Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen entschieden und damit eine entsprechende Verbotsverfügung des Polizeipräsidenten Bochum bestätigt. Das Demonstrations-Motto erfüllt nach Auffassung des OVG NRW den Tatbestand der Volksverhetzung und stellt überdies eine versammlungsrechtlich nicht hinnehmbare Provokation dar.

In seinem Beschluss führt der 5. Senat des OVG NRW u.a. aus:

Der Antragsgegner konnte die vom Antragsteller für den 13. und 20. März 2004 mit dem Thema "Stoppt den Synagogenbau - 4 Millionen fürs Volk!" angemeldeten Versammlungen nach § 15 Abs. 1 VersammlG verbieten, weil bei ihrer Durchführung sowohl die öffentliche Sicherheit als auch die öffentliche Ordnung unmittelbar gefährdet ist.

a) Die öffentliche Sicherheit ist unmittelbar gefährdet wegen eines Verstoßes gegen strafrechtliche Bestimmungen.

aa) Die auf Flugblättern und im Internet verbreitete Einladung zur Versammlung und die Versammlung selbst erfüllen den Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB. Danach ist strafbar u.a., wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet. Dabei schützt die verfassungsrechtlich durch Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete Menschenwürde den sozialen Wert- und Achtungsanspruch des Menschen. Erforderlich ist, dass den in der geschilderten Weise Angegriffenen ihre Rechte als gleichwertige Persönlichkeiten in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen und sie als minderwertige Wesen behandelt werden.

Das Demonstrations-Motto "Stoppt den Synagogenbau - 4 Millionen fürs Volk!" erfüllt diese Voraussetzungen. Es hat offenkundig eine antisemitische Grundrichtung. Es grenzt die in Deutschland lebenden Menschen jüdischen Glaubens in böswilliger und verächtlich machender Weise als nicht zum "Volk" gehörend aus der staatlichen Gemeinschaft aus. Es verletzt dadurch in eklatanter Weise den sozialen Wert- und Achtungsanspruch der deutschen Juden und stört damit zugleich das friedliche Miteinander von Juden und Nicht-Juden in Deutschland.

Das Motto "Stoppt den Synagogenbau - 4 Millionen fürs Volk!" richtet sich - für jedermann erkennbar - in hetzerischer Weise gegen eine Glaubensgemeinschaft, die durch ihre Verfolgung im "Dritten Reich" besonders gekennzeichnet ist. Ihr einzigartiges Schicksal prägt den dieser Gemeinschaft zustehenden Geltungs- und Achtungsanspruch. Den in Deutschland lebenden Juden ist ein besonderes personales Verhältnis zu ihren Mitbürgern zugewiesen. Es gehört zu ihrem personalen Selbstverständnis, als zugehörig zu einer durch das Schicksal herausgehobenen Personengruppe begriffen zu werden, der gegenüber eine besondere moralische Verantwortung aller anderen besteht, und das Teil ihrer Würde ist.

Ausgehend von den Umständen im Einzelfall, insbesondere dem konkreten Kontext, in dem die Äußerungen zu bewerten sind, vermag der beschließende Senat eine Mehrdeutigkeit des Versammlungsthemas - anders als vom Antragsteller behauptet und vom Verwaltungsgericht angenommen - nicht festzustellen.

Zwar lässt sich den Worten "Stoppt den Synagogenbau - 4 Millionen fürs Volk!" bei Ausblendung ihrer antisemitischen Grundrichtung (auch) eine finanzpolitische Forderung des Inhalts entnehmen, den Neubau der Synagoge jedenfalls nicht mit Steuermitteln zu unterstützen. Diese Lesart nimmt den Worten jedoch nicht ihren aggressiven und hetzerischen Charakter. Ein solches Verständnis ändert insbesondere nichts daran, dass das genannte Demonstrations-Motto die in Deutschland lebenden jüdischen Mitbürger ausgrenzt und ihnen das Recht auf (finanzielle) Partizipation abspricht. Der Versuch einer inhaltlichen Reduktion des Versammlungs-Mottos auf eine "finanzpolitische Forderung" lässt mithin die volksverhetzende Intention dieses Mottos unberührt. Dieser Intention können sich die mit dem Motto konfrontierten Menschen nicht entziehen.

Hetzerisch und losgelöst von einer bloßen Kritik an der finanziellen Beteiligung der Stadt Bochum (und des Landes Nordrhein-Westfalen) am Synagogenneubau sind im Übrigen nicht nur die zitierten Äußerungen des Antragstellers "Stoppt den Synagogenbau - 4 Millionen fürs Volk!", sondern auch die Worte "In Bochum soll eine Synagoge gebaut werden. Wir sagen Nein!". Auch dieser Formulierung ist im Kontext mit den zuvor genannten Worten ein die Kritik an der Verwendung von Steuergeldern übersteigender, strafrechtlich relevanter volksverhetzender Sinngehalt zu entnehmen: Die geplante Synagoge soll nicht nur nicht mit Steuergeldern, sie soll überhaupt nicht gebaut werden; eine Synagoge gehört nicht nach Bochum; ihr Bau soll eingestellt werden, er soll - insoweit die Aufforderung, aktiv mitzuwirken - "gestoppt" werden, "Geld, das an Juden fließt, fließt nicht dem Volk zu".

Nach Auffassung des Senats ist es nicht vertretbar, die genannten Formulierungen lediglich als unsensible und schwer erträgliche, letztlich aber durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Meinungsäußerung zu bewerten. Der strafbewehrte, schon dem sprachlichen Kontext unmissverständlich zu entnehmende Sinngehalt wird im Gegenteil verstärkt durch die Einbeziehung des historischen Hintergrundes und die antisemitische Programmatik der NPD. Die in der Zeit des Nationalsozialismus erfolgte menschenverachtende Stigmatisierung von Juden und die damit implizit verbundene Aufforderung an andere, sie zu diskriminieren und zu schikanieren, gebieten auch heute eine besondere Sensibilität im Umgang mit Juden. Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 - die NSDAP in Bochum hatte bereits am 6. März 1933 das Rathaus in Besitz genommen und am 11. März 1933 den Oberbürgermeister seiner Amtsgeschäfte enthoben - begann auch für die jüdischen Einwohner Bochums der Prozess der Entrechtung, Verdrängung und Verfolgung. Eine der ersten Stationen dieser Entwicklung war etwa der groß angelegte Boykott gegen jüdische Geschäfte, Kanzleien und Praxen am 1. April 1933 unter der Aufforderung: "Kauft nicht bei Juden", der bereits zu Ausschreitungen gegen jüdische Bürger führte. In der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde auch die Bochumer Synagoge von SA-Leuten und Sympathisanten niedergebrannt, wurden jüdische Wohnungen und Geschäfte demoliert und ausgeplündert, jüdische Bürger schikaniert und misshandelt; Deportationen in das Konzentrationslager Oranienburg-Sachsenhausen schlossen sich an; viele nichtjüdische Bochumer schauten bei den Pogromen zu oder beteiligten sich.

Bis heute sind gewalttätige Angriffe gegen Juden in Deutschland traurige Tagesordnung. Neben vermeintlich kleinen Übergriffen auf Menschen jüdischen Glaubens sind Schändungen jüdischer Friedhöfe und insbesondere auch Brandanschläge auf Synagogen zu nennen, nicht zuletzt der im Jahr 2003 aufgedeckte Plan einer rechtsextremistischen Gruppe, am Tag der Grundsteinlegung einen Sprengstoffanschlag auf dem Gelände des neuen jüdischen Gemeindezentrums in München, auf dem eine (neue) Synagoge, ein Gemeindehaus, eine Schule und ein Museum entstehen, zu verüben.

Die NPD steht - auch wenn es sich nicht um eine verbotene Partei handelt - nach ihrer gesamten Programmatik in enger Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus und strebt einen nationalen Sozialismus auf "völkischer" - d.h. "rassenreiner" bzw. "blutsreiner" - Grundlage in aktiv-kämpferischer, aggressiver Weise an und erweist sich damit als antisemitisch im engeren Sinne.

bb) Es ist auch verhältnismäßig, die angemeldeten Versammlungen wegen des festgestellten Verstoßes gegen die öffentliche Sicherheit zu verbieten. Das mildere Mittel der Erteilung von Auflagen steht nicht zur Verfügung; das Verbot ist zum Schutz elementarer Rechtsgüter angemessen.

Auflagen, die den Charakter einer Versammlung in ihrem Inhalt verändern, können weder dem Grundrechtsträger noch den Versammlungsbehörden angesonnen werden. Insofern trägt der Versammlungsleiter die aus seinem grundrechtlichen Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung resultierende Verantwortung für die kommunikativen Inhalte der Versammlung, die den verwaltungsgerichtlichen Streitgegenstand begrenzen und die Gewährung eines inhaltlichen Aliuds ausschließen. Hier ist unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze nicht erkennbar, wie durch Auflagen die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit beseitigt werden könnte, ohne den Charakter der Versammlung erheblich zu verändern. Mit der festgestellten Verletzung der Würde der in Deutschland lebenden Menschen jüdischen Glaubens in Folge des gewählten Versammlungs-Mottos steht auch offenkundig ein elementares Rechtsgut in Rede.

b) Unabhängig davon ist bei Durchführung der angemeldeten Versammlungen - wie vom Antragsgegner herangezogen - auch eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung gegeben, die - selbständig tragend - das ausgesprochene Versammlungsverbot rechtfertigt.

aa) Nach der Rechtsprechung des beschließenden Senats lässt sich eine rechtsextremistische Ideologie wie der Nationalsozialismus unter dem Grundgesetz nicht - auch nicht mit den Mitteln des Demonstrationsrechts - legitimieren; der aus der Werteordnung des Grundgesetzes ableitbaren verfassungsimmanenten Beschränkung ist auch unterhalb der Schwelle strafrechtlicher und verfassungsgerichtlicher Verbots- und Verwirkungsentscheidungen Rechnung zu tragen.

Wie oben ausgeführt, laufen die angemeldeten Versammlungen grundgesetzlichen Wertvorstellungen, die zentraler Ausdruck der Abkehr vom Nationalsozialismus sind, zuwider; der unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Ordnung kann nicht im Auflagenwege begegnet werden.

bb) Aber auch bei Anlegung der von der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vertretenen Maßstäbe konnte der Antragsgegner die Versammlungen wegen unmittelbarer Gefährdung der öffentlichen Ordnung verbieten.

Zwar scheidet nach der Rechtsprechung der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts ein Rückgriff auf § 15 VersammlG zur Unterbindung bestimmter Inhalte der kollektiven Meinungskundgabe aus. Ein solcher Rückgriff ist jedoch möglich, wenn mit der Versammlung eine Provokation besonderer Art und Intensität verbunden ist. Der Antragsgegner hat den angemeldeten Versammlungen eine solche spezifische Provokationswirkung zu Recht beigemessen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der beschließende Senat auf die zutreffenden Ausführungen in der angegriffenen Verbotsverfügung Bezug. Der Antragsgegner hat insbesondere deutlich gemacht und bei seinem Verbot darauf abgestellt, dass infolge der spezifischen Provokationswirkung über die daraus resultierende allgemeine Entrüstung vordringlich in den Blick zu nehmen ist, dass die Menschenwürde der in Deutschland lebenden Juden verletzt und eine Grundrechtsgrenze überschritten ist.

Das Motto der angemeldeten Versammlungen "Stoppt den Synagogenbau - 4 Millionen fürs Volk" stellt den sozialen Geltungsanspruch der in Deutschland lebenden Juden in Abrede. Es grenzt sie in entwürdigender Weise aus. Das Motto erschöpft sich dabei nicht in der Forderung, eine finanzielle Beteiligung von Stadt und Land zu verhindern. Es zielt vielmehr darauf, den Bau einer Synagoge auch bei Eigenfinanzierung durch die jüdische Gemeinde zu verhindern. Diese Ausgrenzung erweist sich dabei um so größer und aggressiver, als die rechtsextreme NPD mit hetzerischen Umschreibungen wie "jüdischer Prunkbau auf Kosten des deutschen Steuerzahlers" oder "Sonderregelungen für Minderheiten" erkennbar an die in der Geschichte beispiellose Ausgrenzung der Juden anknüpft.

Die spezifische, eine Grundrechtsgrenze überschreitende Provokationswirkung des Versammlungs-Mottos rechtfertigt es, die Durchführung der angemeldeten Versammlungen zu unterbinden. Eine Rechtsprechung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts, die mit bindender Wirkung das Verbot einer Versammlung ausschließt, wenn (nur) die öffentliche Ordnung in Rede steht, besteht nicht. Ein Versammlungsverbot ist vielmehr nur "im Allgemeinen" bei einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung nicht gerechtfertigt.

Der hier festzustellenden spezifischen Provokationswirkung kann auch nicht mittels Auflagen begegnet werden, ohne den Charakter der angemeldeten Versammlungen erheblich zu verändern. Denn die spezifische Provokationswirkung ergibt sich - wie dargelegt - wesentlich aus dem gewählten Thema der Veranstaltung.

Az.: 5 B 392/04