Vor 70 Jahren fand der Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit des Landes Nordrhein-Westfalen mit der Gründung des Oberverwaltungsgerichts in Münster seinen Abschluss. In einem Festakt mit 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurde dies am 25. September 2019 in der voll besetzten Halle des Oberverwaltungsgerichts gefeiert. Höhepunkt des Abends war der Auftritt des bekannten Autors Dr. Manfred Lütz, der von seinem Großonkel Paulus van Husen erzählte und aus seinem neuen Werk „Als der Wagen nicht kam – Eine wahre Geschichte aus dem Widerstand“ las, das sich dessen Memoiren widmet. Van Husen gehörte während der NS-Diktatur der Widerstandsgruppe des Kreisauer Kreises an. Im Jahre 1949 wurde er zum ersten Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster ernannt.

Die Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts Dr. Ricarda Brandts freute sich, dass neben hochrangigen Gästen aus Justiz, Politik und Gesellschaft auch zahlreiche interessierte Bürgerinnen und Bürger an der Festveranstaltung teilnahmen. In ihrer Eröffnungsrede betonte sie, dass sie sich bewusst für eine publikumsoffene Veranstaltung entschieden habe. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit habe „die Kernaufgabe im demokratischen Rechtsstaat, die Bürgerinnen und Bürger vor rechtswidrigen Eingriffen des Staates zu schützen“ – sie stünden deshalb im Mittelpunkt.

Der Minister der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen Peter Biesenbach würdigte in seinem Grußwort das 70-jährige Bestehen der nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichtsbarkeit, die sich seit ihrer Gründung im Jahre 1949 zu einer „durchgängigen Erfolgsgeschichte“ entwickelt habe. Sie biete Rechtsschutz, „wie es ihn zuvor in Deutschland nicht gegeben hat“. Anteil daran habe auch der Amtsermittlungsgrundsatz, der den Bürgerinnen und Bürgern zugutekomme, wenn sie Rechtsschutz suchten vor der manchmal „übermächtig wirkenden staatlichen Gewalt“. Dennoch müsse nach Wegen gesucht werden, die Laufzeiten der Verfahren zu verringern, gerade bei großen Infrastrukturvorhaben.

Die Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht Karen Keller beleuchtete das Thema „Paulus van Husen und das richterliche Selbstverständnis heute“. Der Name van Husen stehe bis heute für die Forderung nach einer von staatlicher Beeinflussung freien Verwaltungsgerichtsbarkeit. Er habe den Mut gefunden, „gegen den Zeitgeist für die Rechte von Minderheiten einzutreten“. Van Husen habe einen Diskurs gepflegt, der durch Wertschätzung des Gesprächspartners, respektvollen Umgang miteinander und Offenheit geprägt gewesen sei. Von diesem Vorbild sollten sich Richter inspirieren lassen.

„Als der Wagen nicht kam“ – dieser Buchtitel beschreibt die dramatische Situation, in der Paulus van Husen sich nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 befand, als er vergeblich auf den Wagen wartete, der ihn verabredungsgemäß zu einem Treffpunkt der Widerstandsgruppe bringen sollte. In seiner Lesung zeichnete Dr. Manfred Lütz die „abenteuerliche“ Lebensgeschichte van Husens nach, der sich im Widerstand gegen das NS-Regime durch seine Charakterstärke und Prinzipientreue auszeichnete, nach dem misslungenen Hitler-Attentat nur knapp der Todesstrafe entging und der in der Nachkriegszeit zum ersten Präsidenten sowohl des Oberverwaltungsgerichts als auch des Verfassungsgerichtshofs in Nordrhein-Westfalen wurde. Die fesselnd geschriebenen Episoden aus den Memoiren van Husens unterlegte Dr. Lütz mit einigen ebenso humorvollen wie pointierten Anmerkungen über die Eigenheiten seines „kantigen und meinungsstarken“ Großonkels, der – so Dr. Lütz – „entsetzt gewesen wäre, wenn jemand ihm komplett zugestimmt hätte“.