Das Oberverwaltungsgericht hat gestern und heute auf Anträge der Gewerkschaft ver.di Ladenöffnungsfreigaben für den kommenden Sonntag in Kleve, Lage und Bünde außer Vollzug gesetzt.

Über die Reichweite des verfassungsrechtlichen Sonn- und Feiertagsschutzes gibt es seit Jahren Streit. Die Rechtsprechung hat die vorgebrachten Argumente und Be­lange umfassend gewürdigt und gewichtet. Zuletzt hat das Bundesverwaltungsge­richt in einem Urteil vom 22. Juni 2020 die vom 4. Senat des Oberverwaltungsge­richts in einem Hauptsacheverfahren anhand der höchstrichterlichen Rechtspre­chung entwickelten Grundsätze zur Auslegung der neuen im Ladenöffnungsgesetz NRW geregelten Fallgruppen (Erhalt, Stärkung oder Entwicklung eines vielfältigen stationären Einzelhandelsangebots oder zentraler Versorgungsbereiche, Belebung der Innenstädte oder Ortsteilzentren oder Steigerung der überörtlichen Sichtbarkeit der jeweiligen Kommune als attraktiver und lebenswerter Standort) als jedenfalls nicht zu restriktiv bestätigt. Die zu Ladenöffnungen im Zusammenhang mit örtlichen Veranstaltungen ergangene bisherige Rechtsprechung des 4. Senats hat das Bun­desverwaltungsgericht hingegen als zu großzügig gegenüber Kommunen und Handel und nicht in jeder Hinsicht verfassungskonform angesehen und korrigiert.

In den letzten vier Wochen hat der 4. Senat des Oberverwaltungsgerichts in 15 ord­nungsbehördlichen Verordnungen von insgesamt 14 Städten und Gemeinden keine verfassungsrechtlich tragfähige Grundlage für sonntägliche Ladenöffnungen gesehen (Lemgo, Bad Salzuflen, Kevelaer, Iserlohn, Bad Oeynhausen, Beckum, Meckenheim, Langerwehe, Leverkusen, Essen, Marl, Kleve, Lage und Bünde). Ganz überwiegend verstießen die Verordnungen gegen letztinstanzlich in Hauptsacheverfahren geklärte Maßstäbe über die Wahrung des verfassungsrechtlich geforderten Mindestniveaus des Sonntagsschutzes (vgl. dazu die Pressemitteilungen vom 28. August 2020 und 3. September 2020). Die Verordnungen werden mittlerweile in immer mehr Fällen trotz Kenntnis der dazu bereits ergangenen Rechtsprechung erlassen. In den letzten vier Wochen wurden in anhängigen Eilverfahren allerdings auch acht nichtige Verordnungen von sieben Städten und Gemeinden selbst aufgehoben oder es wurde zumindest ihre Aufhebung angekündigt (Schwerte, Hövelhof, Neubeckum, Schleiden, Rheinbach, Krefeld und Meerbusch). Kürzlich eingegangen und noch anhängig sind Verfahren gegen jeweils mehrere Freigabeverordnungen für Essen, Duisburg, Warendorf, Gütersloh, Delbrück und Neuss.

Das Verfahren betreffend die Freigabeverordnung der Stadt Bünde, die der Rat in Kenntnis ihrer Rechtswidrigkeit nach letztinstanzlicher Rechtsprechung beschlossen und der Bürgermeister trotz Kenntnis seiner Beanstandungspflicht bekanntgemacht hatte, gab dem 4. Senat in seinem heutigen Beschluss Anlass darauf hinzuweisen, dass sich kommunale und staatliche Amtsträger an letztinstanzlich geklärte verfas­sungsrechtliche Grenzen, die auch unter Geltung des neuen Ladenöffnungsgesetzes NRW einzuhalten seien, zu orientieren hätten. Es entspreche nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen, wenn kommunale Verwaltungen immer neue Verordnungen in Kennt­nis ihrer Verfassungswidrigkeit beschlössen und bisweilen sogar mehr oder weniger deutlich eine rechtzeitige gerichtliche Entscheidung, deren Ergebnis für sie absehbar ist, zu verhindern versuchten. Ebenso wenig entspreche es rechtsstaatlichen Grundsätzen, wenn das zuständige Landesministerium an einem Erlass festhalte, der fortlaufend weitere Städte und Gemeinden zu verfassungswidrigen Entscheidun­gen verleite und viele davon abhalte, offenkundig rechtswidrige Verordnungen von sich aus aufzuheben. Der Politik bleibe es unbenommen, die notwendigen Mehrhei­ten für eine Verfassungsänderung zu suchen, wenn sie die geklärte Verfassungs­rechtslage weiterhin für unbefriedigend halte.

Die Beschlüsse sind jeweils unanfechtbar.

Aktenzeichen: 4 B 1336/20.NE (Bünde)