Die Abwassergebührenkalkulation der Stadt Oer-Erkenschwick für das Jahr 2017 ist rechtswidrig, weil die konkrete Berechnung von kalkulatorischen Abschreibungen und Zinsen zu einem Gebührenaufkommen führt, das die Kosten der Anlagen über­schreitet. Das hat das Oberverwaltungsgericht heute in einem Musterverfahren ent­schieden und damit seine langjährige Rechtsprechung zur Kalkulation von Abwas­sergebühren geändert.

Ein Bürger aus Oer-Erkenschwick hatte gegen die Festsetzung von Schmutz- und Regenwassergebühren für das Jahr 2017 in Höhe von 599,85 Euro geklagt. Das Ver­waltungsgericht Gelsenkirchen wies die Klage im Jahr 2020 ab. Die Berufung des Klägers hatte nun Erfolg - das Oberverwaltungsgericht hob den Gebührenbescheid auf.

Zur Begründung hat der 9. Senat des Oberverwaltungsgerichts ausgeführt: Die Sat­zung über die Erhebung von Abwassergebühren in der Stadt Oer-Erkenschwick aus November 2016, die dem Gebührenbescheid für 2017 zugrunde liegt, ist unwirksam. Die Gebühren waren insgesamt um rund 18 % überhöht. Neben einem geringfügigen Rechenfehler (doppelter Ansatz der Abschreibungen für Fahrzeuge und Geräte) lie­gen nach der nun erfolgten Änderung der bisherigen, 1994 begründeten Recht­sprechung des Oberverwaltungsgerichts zwei grundlegende Kalkulationsfehler vor.

Der gleichzeitige Ansatz einer Abschreibung der Entwässerungsanlagen mit ihrem Wiederbeschaffungszeitwert (Preis für die Neuanschaffung einer Anlage gleicher Art und Güte) sowie einer kalkulatorischen Verzinsung des Anlagevermögens mit dem Nominalzinssatz (einschließlich Inflationsrate) ist unzulässig. An der bisherigen an­derslautenden Rechtsprechung wird nicht mehr festgehalten. Diese Kombination von Abschreibungen und Zinsen ist nach dem vom Gericht eingeholten Gutachten zwar betriebswirtschaftlich vertretbar, worauf das Kommunalabgabengesetz zunächst ab­stellt. Aus der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen ergibt sich aber der Zweck der Gebührenkalkulation, durch die Abwassergebühren nicht mehr als die dauerhafte Betriebsfähigkeit der öffentlichen Einrichtung der Abwasserbeseitigung sicherzustellen. Die Gebühren dürfen nur erhoben werden, soweit sie zur stetigen Er­füllung der Aufgaben der Abwasserbeseitigung erforderlich sind. Der gleichzeitige Ansatz einer Abschreibung des Anlagevermögens auf der Basis seines Wiederbe­schaffungszeitwertes sowie einer kalkulatorischen Nominalverzinsung widerspricht diesem Kalkulationszweck, weil er einen doppelten Inflationsausgleich beinhaltet.

Außerdem ist der von der Stadt in der Gebührenkalkulation - ebenfalls auf Basis der bisherigen Rechtsprechung - angesetzte Zinssatz von 6,52 % sachlich nicht mehr gerechtfertigt. Der hier gewählte einheitliche Nominalzinssatz für Eigen- und Fremd­kapital, der aus dem fünfzigjährigen Durchschnitt der Emissionsrenditen für festver­zinsliche Wertpapiere inländischer öffentlicher Emittenten zuzüglich eines pauscha­len Zuschlags von 0,5 Prozentpunkten für höhere Fremdkapitalzinsen ermittelt wurde, geht über eine angemessene Verzinsung des für die Abwasserbeseitigungs­anlagen aufgewandten Kapitals hinaus. Das Oberverwaltungsgericht hält es bei einer einheitlichen Verzinsung für angemessen, den zehnjährigen Durchschnitt dieser Geldanlagen ohne einen Zuschlag zugrunde zu legen. Daraus ergäbe sich für das Jahr 2017 bei der von der Stadt Oer-Erkenschwick ansonsten gewählten Methode ein Zinssatz von 2,42 %.

Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen kann die Stadt Beschwerde einlegen, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.

Aktenzeichen: 9 A 1019/20 (I. Instanz: VG Gelsenkirchen 13 K 4705/17)