Das Oberverwaltungsgericht hat heute entschieden, dass einem syrischen Asylbewerber, der seinen Wehrdienst bereits geleistet hatte, aber fürchtete, zum Reservewehrdienst eingezogen zu werden, nicht wegen Wehrdienstentziehung die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Nach der bisherigen Rechtsprechung des 14. Senats war Syrern, die angegeben haben, wegen des Militärdienstes Syrien verlassen zu haben, nicht deshalb der Flüchtlingsstatus zu gewähren (vgl. Pressemitteilung vom 4. Mai 2017). Die Neubewertung infolge eines Urteils des EuGH vom 19. November 2020 hat zu keinem anderen Ergebnis geführt.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatte dem Kläger aus Frechen, der Syrien 2015 verlassen hatte, subsidiären Schutz gewährt. Das Verwaltungsgericht Köln erkannte ihm die Flüchtlingseigenschaft zu. Das Oberverwaltungsgericht hat dieses Urteil nun geändert und die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat der 14. Senat ausgeführt: Die Erkenntnisse über die Verfolgungslage in Syrien für Wehrdienstentzieher seien einer neuen Prüfung unterzogen worden. In den Zeiten intensiven Bürgerkriegs hatte der Senat eine Strafverfolgung und sogar eine extralegale Bestrafung von Wehrdienstentziehern für beachtlich wahrscheinlich gehalten, aber deren Verfolgung als politische Gegner verneint. Der syrische Staat sei früher der massenhaften Wehrdienstentziehung scharf entgegengetreten, weil er dadurch die Existenz des Regimes gefährdet gesehen habe. Dies sei nach den aktuellen Erkenntnissen anders zu beurteilen. Nachdem sich die militärische Situation zugunsten des syrischen Staates konsolidiert habe, sei ‑ trotz der nach wie vor aufrecht erhaltenen Strafandrohung ‑ eine gewandelte Praxis der Behandlung von Wehrdienstentziehern zu beobachten. Sie würden nicht mehr bestraft, sondern unverzüglich eingezogen und militärisch eingesetzt. Das gelte jedenfalls für diejenigen, die sich lediglich dem Wehrdienst durch Flucht entzogen hätten. Anders sei möglicherweise die Lage bei Personen zu beurteilen, die bereits in das militärische System eingegliedert und mit militärischen Aufgaben betraut gewesen seien, ihre Einheiten oder Posten dann aber verlassen hätten (Deserteuren) oder gar - aus Sicht des syrischen Regimes - zum Feind übergelaufen seien. Unabhängig von der vorstehenden Beurteilung ergebe sich jedenfalls aus der nicht mehr flächendeckenden und systematischen Strafverfolgung von Wehrdienstentziehern, dass sie nicht als politische Gegner angesehen würden, denn diese würden intensiv verfolgt.
Damit sei für einfache Wehrdienstentzieher die vom EuGH in seinem Urteil vom 19. November 2020 - C-238/19 - aufgestellte "starke Vermutung" einer Strafverfolgung von Militärdienstverweigerern aus politischen Gründen widerlegt. Der Senat hat sich der kürzlich erfolgten gegenteiligen Bewertung der Tatsachenlage durch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in seinem Urteil vom 29. Januar 2021 - 3 B 109/18 - nicht angeschlossen.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen ist Nichtzulassungsbeschwerde möglich, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.
Aktenzeichen: 14 A 3439/18.A (I. Instanz: VG Köln 20 K 7784/17.A)